Don Osman

Neue heimtürkische Geschichten
Autorenlesung

3 CDs
Laufzeit 3:14 Std.
12,80 Euro

RADIOROPA Hörbuch

2008

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Kannibalen ziehen um

Ich komme mit einem riesengroßen Umzugskarton in die neue Wohnung rein und bin völlig kaputt. Mehmet und Zeynep sitzen faul auf einen Stapel Umzugskartons und tippen wie wild auf ihren Händys rum. In der Ecke sehe ich meine Frau etwas auf einen Notizblock kritzeln. Selbst die Möbelpacker sind fleißiger als meine Familie.
„Sagt mal, bin ich der Einzige, der hier arbeitet, oder was? Eminanim, was hast du denn ausgerechnet jetzt so Wichtiges zu schreiben?“, keuche ich wie ein halbabgestochener Kampfstier durch die Nase.
„Osman, wie ich dich kenne, wirst du gleich wie ein kleines Bäby anfangen rumzuplärren: ich habe Hunger, ich kann nicht mehr.“
„Seit wann schreibst du denn erst auf, was du kochen willst?“
„Wieso Kochen? Siehst du hier irgendwo eine Küche? Ich notiere doch nur, was ich bei Luigi bestellen muss: Nermin möchte grünen Salat mit Keimlingen. Du willst sicherlich eine doppelte Pizza mit allem drauf, was Luigi in der Restaurantküche finden kann, und Mehmet kriegt eine Pizza Kuba.“
In dem Moment kommt meine kleine Tochter Hatice mit einem dampfenden Döner in der Hand herein.
Hocherfreut laufe ich sofort zu ihr:
„Meine Tochter, meine Retterin, mein Döner!“
Sie zeigt mir mit vollem Mund einen Vogel und rennt blitzschnell wieder nach draußen.
„Wie die Mutter, so die Tochter“, rufe ich.
„Den Zwerg habt ihr zu einer richtigen Kapitalistin erzogen, sie lässt sogar ihren eigenen Vater verhungern“, lästert Mehmet
„Hallo Osman, ich hab ein paar Brote für euch gemacht“, ruft mein alter Kumpel Abdullah-Ibrahim und kommt mit zwei Tabletts belegter Brötchen herein.
Noch bevor er sie irgendwo abstellen kann, werden ihm sämtliche Brötchen aus der Hand gerissen.
„Danke, Abdullah-Ibrahim, komm her, ich muss dich abknutschen“, rufe ich. Er scheint aber auf meine Küsserei nicht so versessen zu sein und flüchtet sofort.
„Bääh, Onkel Abdullahs Brötchen schmecken scheiße. Da ist weder Pfeffer noch Salz drauf“, meckert Hatice und schnappt sich von der Fensterbank eine Dose mit schwarzem Pfeffer und streut das Zeug mit der Hand sehr großzügig auf die gesamten Brötchen.
„Osman, alle unsere Freunde und Bekannte werden vor Neid zerplatzen, wenn sie diese super Wohnung sehen“, freut sich Eminanim.
„Und die neuen Nachbarn erst! Hoffentlich merken die nicht, dass wir die teuren Leihmöbel die ganze Zeit vorne rein und zur Hintertür wieder raus tragen.“
„Osman, das war aber meine Idee.“
„Und was ist mit dem tollen Außenlift und den zwei zusätzlichen LKWs mit Anhänger?“
„Ach, ich weiß ganz genau, dass die Umzugsfirma selber dir dieses ‚Angeber-Paket’ vorgeschlagen hat.“
„Ja, aber ich wollte es auch haben, damit die Nachbarn nicht denken, wir gehören zur Unterschicht, weil wir viele türkische Kinder haben.“
In dem Moment kommt Nermin mit einem Tablett Teegläser und hält mir das übelriechende Zeug stolz vor die Nase.
„Kind, was ist das denn für einen Tee? Willst du mich vergiften?“
„Hab keine Angst. Das ist Brennnessel- und grüner Tee gemischt mit einer Prise Schnittlauch und Ingwer – ist was ganz Gesundes.“
„Muss jetzt auch noch der Tee zu deiner Haarfarbe passen?“
Wütend schnappt sich Nermin das Tablett und geht wieder zurück.
„Nicht wegkippen“, ruft Eminanim, „wenn die Deutschen so was mögen, dann verfüttern wir es doch an unsere netten Möbelpacker.“
„Und was ist, wenn alle Männer hier vor unseren Augen abkratzen?“, fragt Mehmet.
„Das nennt man halt Berufsrisiko“, sage ich.
Mein Kumpel Abdullah-Ibrahim ruft:
„Ich habe wieder ein wundervolles Gedicht für Mehmets Zeitung verfasst. Absolut genial!“
„Abdullah-Ibrahim, wir haben noch so viel zu tun“, flehe ich ihn an.
„Osman, mein neues Gedicht beschreibt aber deine grandiose Karriere! Von deiner ruhmreichen Auswanderung aus unserem wunderschönen Dorf in Anatolien bis hin zu dem Einzug in diese Prachtvilla. Setzt euch alle hin, so was Schönes habt ihr noch nie gehört!“
„Leute, setzt euch doch endlich hin, wann schreibt jemand schon mal ein Gedicht über mich?“, rufe ich.
„Danke, Osman, also hört zu:
Beim Morgengrauen machte er sich auf den Weg,
Die Wurzeln in der Hand…“
„Stopp mal, stopp mal“, ruft Eminanim, „ich war ja dabei, Osman hatte nur einen Koffer in der Hand und keine Möhren.“
„Aber Eminanim, das ist doch nur eine Metapher. Das nennt man künstlerische Freiheit. Mit Wurzeln meine ich, dass er nur seine Vergangenheit dabei hatte. Also, hört doch mal zu:
Beim Morgengrauen machte er sich auf den Weg,
Die Wurzeln in der Hand…
Seine Berge, seine Felder, sein Weib,
Winkten ihm hinterher, ohne ein Funken Neid...“
„Abdullah, das stimmt nun schon wieder nicht! Osman hat kein einziges Stück Land gehabt“, protestiert meine Frau erneut.
„Das ist Tatsachenfälschung, so darf ich dieses Gedicht nicht in meiner Zeitung veröffentlichen“, meckert auch Mehmet.
„Du Banause“, rufe ich. „Du hast doch gehört, das nennt man künstliche Freiheit. Abdullah-Ibrahim, mein lieber Freund, du Stern meines Dorfes, lies weiter, was du über mich so Schönes geschrieben hast.“
Plötzlich knallt Abdullah die Haustür in den Rücken und die Möbelpacker rufen:
„Nicht im Weg herumstehen, Leute! Sonst werden wir nie fertig.“
Abdullah beobachtet mit großen Augen, wie die Möbelpacker mit einer großen Kommode zur Balkontür reinkommen, und sie dann über die Hintertreppe wieder in den Garten raus tragen.
„Ich will mich ja nicht einmischen, aber ist das normal?“, fragt er irritiert.
„Das ist die künstlerische Freiheit der Möbelpacker. Packer-Metapher nennt man so was“, sagt Mehmet.
In diesem Moment stürmt unsere neue Nachbarin Oma Weißbrot in unser Wohnzimmer und fängt an zu brüllen:
„Hilffee, Einbrecher, Mördeerrr!“
„Aber nicht doch, gnädige Frau“, versucht Eminanim sie zu beruhigen.
„Hilfeee, Einbrecher, Ausländeerrr!“
„Nermin, gib ihr eine volle Tasse von deinem komischen Tee“, ruft Mehmet.
„Oma Elfriede, ich habe ein neues Gedicht geschrieben. Sie finden doch meine Gedichte immer so schön“, sagt mein Arbeitskollege sanft.
„Der liebe Abdullah-Ibrahim hat früher auch über mich und meinem Alois schöne Gedichte verfasst“, sagt die Oma plötzlich ruhig. „Viel früher habe ich mit meinem Mann Alois in dieser Wohnung gewohnt. Und dieses Fenster war der Lieblingsplatz meines verstorbenen Mannes. Als letzte Woche die Wohnung für ein paar Tage frei wurde, habe ich ihn wieder an seinen Lieblingsplatz gestellt“, sagt sie, geht zur Fensterbank und nimmt vorsichtig das Glas mit dem schwarzen Pfeffer, den Hatice eben großzügig auf die ganzen Brötchen verteilt hat, und streichelt liebevoll und zärtlich die Flasche:
„Darf ich bekannt machen? Das hier ist mein Mann Alois Weißbrot. Als vor ein paar Wochen sein gutes Herz plötzlich aufgehört hat zu schlagen, habe ich ihn sofort einäschern lassen. Wenn Sie es mir erlauben, würde ich ihn noch eine Weile hier am Fenster verweilen lassen, damit er wie früher glücklich die Straße beobachten kann.“
Alle im Raum laufen grün an. Eine Sekunde später geht die große Rennerei los. Das Badezimmer schon besetzt. Ich laufe blitzschnell in den Keller. Vorher entschuldige ich mich noch bei meinem Kumpel:
„Abdullah-Ibrahim, wir haben uns alle irgendwie den Magen verdorben, aber mach die keine Sorgen, weder deine Brötchen noch deine Gedichte sind daran schuld!

Mord im Karnickelweg

Auf halbem Wege höre ich meine Frau im Keller kreischen.
„Hiiiilfee, Hiiiiiilllfeee!“, schreit sie so laut, als würde nicht sie den Opa, sondern er sie aufessen.
„Frau, brüll doch nicht so, du bist nicht die Einzige, die den armen Herrn Weißbrot mit viel Käse runtergeschlungen hat.“
„Osman, ich... ich... ich bin eine Mörderin!“
„Eminanim, der Mann war doch schon tot. Ich würde sagen, du bist eine Kannibalin, so wie wir alle.“
„Da, da, da“, stottert meine Frau und zeigt mit riesengroßen Augen auf einen regungslosen Körper, der auf Kellerboden liegt. „Ich habe ihn umgebracht! Mein Gott, ich habe diesen armen Adolf umgebracht!“
„Wie hast du das denn so schnell geschafft?“, frage ich genauso schockiert.
„Die Kellertür ging nicht auf. Dann habe ich ihr einen Tritt gegeben und es hat gekracht. Der ist bestimmt tot!“
„Du hast Recht! Der sieht wirklich tot aus.“
„Sage ich doch! Ich bin eine Mörderin! Die Tür hat geklemmt! Da habe ich mich mit voller Kraft dagegen geworfen. Und der arme Mann hat wohl dahinter gestanden!“
„Kann sein, Eminanim, aber daran ist er nicht gestorben. In seinem Schädel stecken drei Kugeln! Kein Mensch kann mit drei Kugeln im Kopf lange hinter einer Kellertür stehen!“
„Das fängt ja gut an“, ruft Mehmet hinter mir, „den einen Nachbarn haben wir gerade gemütlich vernascht, und der zweite liegt gleich neben der Tiefkühltruhe. Ich glaube, in diesem Haus werden wir so schnell nicht verhungern.“
„Mehmet, ich will schwer hoffen, dass das Notwehr war!“, brülle ich.
„Vater, ich hab damit wirklich nichts zu tun.“
„Also bin ich’s doch gewesen! Ich habe genau gehört, wie alle seine Knochen zersplitterten“, fängt Eminanim erneut an zu jammern.
„Der hat aber davon nichts gehört. Die Toten merken nicht mal, wenn man sie mit Brötchen und Käse verspeist.“
Da ich noch nicht so darin geübt bin, die genaue Todeszeit bei Leichen zu diagnostizieren, frage ich Mehmet ganz pauschal mit einem treuherzigen Augenaufschlag wie Colambo:
„Wo waren Sie von Donnerstag bis jetzt?“
„Vater, geht’s dir noch gut? Eine Leiche im eigenen Keller verstecken, sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?“
„Wo verstecken Sie denn sonst Ihre Leichen?“, dränge ich ihn mit meinem raffinierten Fragen in die Ecke.
„Warum siezen wir uns eigentlich plötzlich? Du bist nicht Colambo, auch wenn dein Gesicht, wie sein ungebügelter Mantel aussieht.“
„Mehmet, du bist immer noch auf der Puulposischen als der Nazi-Hasser Namber Wan in dieser Stadt. Und das macht dich selbstverständlich auch zum Verdächtigen Namber Wan. Außerdem hast du dem Mann auf offener Straße vor allen Leuten mehrfach gedroht, dass du ihn kalt machen willst.“
„Mensch, Vater, das habe ich in meinem Leben schon mindestens hundert Leuten gesagt, aber nur der eine liegt hier. Wir müssen die Polizei anrufen.“
„Bist du wahnsinnig? Die würden dich auf der Stelle verhaften. Und als Zugabe mich auch noch dazu.“
„Wieso sollen sie mich denn verhaften?“
„Halloooo, Mehmet, tickst du nicht mehr richtig? Du warst doch derjenige, der überall rumgetönt hat, du wirst ihn kaltmachen. Und jetzt liegt er ziemlich kalt in unserem Keller!“
„Aber was machen wir jetzt mit ihm?“ fragt Eminanim.
„Wir stecken ihn in eine Plastiktüte und dann in die Tiefkühltruhe, dann kann er nichts einsauen.“
„Und bekommt auch kein Gefrierbrand“, gibt Mehmet wieder einer seiner überflüssigen Kommentare ab.
„Eminanim, mit Mördern kenne ich mich ganz gut aus – ich habe genügend Krimis gesehen! Am Ende ist immer derjenige der Mörder, bei dem man es am allerwenigsten vermutet. Deshalb kann es Mehmet nicht sein, weil er ja so schon wie der leibhaftige Mörder aussieht.“
„Ach, Osman, zum Schluss bleibt es doch an mir hängen.“
„Also Eminanim, wenn überhaupt, dann bist du bestenfalls Mörderin dritten Grades. Vorher haben ihm ein paar Leute jeden zweiten Knochen gebrochen. Und dann hat ein anderer ihm drei Kugeln in den Kopf verpasst. Und zum Schluss hast du ihn noch mit der Kellertür erschlagen. Das Einzige, was sie dir vorwerfen können ist: fahrlässiges Erschlagen einer toten Leiche im Affekt.“
„Leute, ich gehe die Pizzas holen“, brüllt Zeynep aus dem Flur.
„Zeynep, du darfst nicht alleine dahin, bevor du mit diesem Mafiatypen Luigi verlobt bist“, brülle ich zurück.
„Osman, stell dich doch nicht so an, die beiden sind doch so gut wie verlobt.“
„Was heißt hier ‚so gut wie verlobt’? Das ist ja so ähnlich wie ‚ein bisschen schwanger’.“
„Keine Angst, schwanger ist sie kein bisschen.“
„Das will ich auch schwer hoffen! Zeynep, wieso hat der Kerl keinen Lieferservice, so wie alle anderen Pizzabäcker?“
„Papa, einen Fahrer kann er sich noch nicht leisten.“
„Und so einen willst du heiraten, der sich nicht mal einen pakistanischen Fahrer für 3 Euro 50 die Stunde leisten kann?“
„Mein Luigi ist kein Ausbeuter. Wenn er jemanden einstellt, dann bezahlt er ihn auch anständig.“
„Er stellt bald eine Türkin ein, die umsonst für ihn arbeitet“, ruft Mehmet.
„Eine Türkin? Wer ist das? Ist sie jung, ist sie hübsch, wie sieht die aus?“, fragt Zeynep ziemlich eifersüchtig.
„Na, wen schon? Dich natürlich. Wofür soll ein Mann dich denn sonst freiwillig heiraten?“
„Da wird er aber ein schlechtes Geschäft machen“, sage ich, „von dem Geld, das Zeynep für ihre Schminke braucht, kann er zehn Leute für sich schuften lassen.“
„Jetzt hackt nicht alle auf meiner Tochter rum“, wird Eminanim laut, „Zeynep, geh los, und hol unsere Pizzas. Und grüß den netten Luigi von mir.“
„Ja, aber Mehmet und Hatice gehen mit“, rufe ich, „ich will nicht, dass dieser lüsterne Dschigolo auf die Idee kommt, mit Zeynep Schweinkram zu machen. Ich kenne diese Typen aus Halle 4, die haben nur Weiber im Kopf!“

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