"Gute Satiren sind rar, gute Satiren zur Situation von Ausländern in der Bundesrepublik erst recht: Zu ernst, zu schwierig scheint das Thema, als dass man es auf die humorige Art präsentieren könnte.
Osman Engin ist Türke und lebt seit Jahren in Deutschland. Er hat Fantasie und eine wunderbar leichte Schreibe.
Könnte jemand besser geeignet sein, Satiren über Türken und Deutsche zu schreiben? Wohl kaum.
19 Texte versammelt das vorliegende Bändchen, einer besser als der andere. Die Bilder, die Engin entwirft, werfen einen einfach um. Am liebsten möchte ich jeden Leser einzeln auffordern, sofort die nächste Buchhandlung anzulaufen und sich dieses Buch zu bestellen, am besten gleich zweimal, eins davon zum Verschenken." Stuttgart Live.

Leseprobe







Ausverkauft.











Reise-Paranoia

Ich habe alles gepackt.
Morgen früh fahre ich heim in die Türkei. Aber freut euch nicht zu früh, es ist nicht für immer. Ich fahre nur in Urlaub.
Alle Reisedokumente habe ich noch rechtzeitig zusammengekriegt.
Weil ich für die Reise etwas mehr Geld bei mir führe – sonst gibt mir meine Frau überhaupt nichts –, hat meine liebe Gattin alle großen Geldscheine in meiner Unterhose eingenäht. Da ist es bestens versteckt. Das Geld findet kein Mensch. Höchstens, wenn sie mich vergewaltigen. Aber welcher Triebtäter hat so schlechten Geschmack? Das einzige Problem ist: was passiert, wenn ich Durchfall bekomme?
Die Nacht vor der Reise vergeht nie. Ich kann einfach nicht einschlafen. Aber wenn ich den Fehler mache, doch einzuschlafen, dann bekomme ich gräßliche Alpträume: statt in der Türkei lande ich in Alaska. Unser Auto wird mitten in Belgrad geklaut; das Schlimmste dabei ist, dass wir mit im Auto sitzen.
Am nächsten Morgen klingeln mich meine beiden Arbeitskollegen, Hüseyin und Nurettin, mit denen ich in die Türkei fahren will, brutal aus dem Bett.
Als ich mein Handgepäck einladen will, entdecke ich, dass der fast neue Ford-Transit von Hüseyin – der Wagen hat höchstens 15 Jahre auf dem Buckel – wie ein dreistöckiges Haus aussieht. Ich frage Hüseyin:
„Wie soll ich denn meine fünf Koffer da raufkriegen?“
„Kein Problem, Osman! Die packen wie oben drauf“, sagt er.
Mißtrauisch frage ich:
„Wo obendrauf?“
Da sehe ich, dass Nurettin schon dabei ist, mit meinen Koffern auf dem Wagen kunstgerecht ein viertes Stockwerk zu bauen.
Ich stottere schockiert:
„Bist du sicher, dass das hält?“
„Vertraue auf Allah, sein Wille ist mächtig.“
„Ja, aber können wir auch deinem Auto vertrauen?“
Zärtlich streichelt Hüseyin über den rostigen Kotflügel, so wie man einem guten Pferd übers Hinterteil streicht. Schlägt dann zweimal mit der flachen Hand – patsch, patsch – auf den Kotflügel.
„Fährst du einen Ford, fühlst dich wie ein echter Lord!“
„Na ja, wenn das so ist“, murmele ich und füge mich in Allahs Willen.
Endlich fahren wir los. Hüseyin fährt, Nurettin schläft auf der Rückbank, weil er gerade Feierabend hatte, und ich hocke auf dem Beifahrersitz. Nicht direkt natürlich. Unter mir stapeln sich noch drei Wandteppiche mit Bosporusbildern in Neonfarben (Made in Hong Kong), darunter ein Schnellkochtopf aus garantiert rostfreiem Stahl.
In der Nähe von Passau telefoniere ich kurz nach Hause, um meiner Frau Eminanim Bescheid zu sagen, dass wir gleich über die Grenze fahren.
„Wir sind gleich in Österreich“, rufe ich am Telefon meiner Frau zu.
„Viel weiter wärst du sowieso nicht gekommen“, brüllt sie, „dein Paß und deine Papiere sind nämlich noch alle hier in Bremen!“
In der Scheibe der Telefonzelle entdecke ich, wie blaß ich plötzlich werden kann.
„Waaaaas?“ schreie ich. So laut, dass sogar die durchrasenden Fahrer auf der Gegenfahrbahn die Köpfe nach mir umdrehen.
Die Papiere hatte ich sicher in meiner Hosentasche deponiert. Heute morgen habe ich für die Fahrt eine neue Hose angezogen.
„Warum sagst du mir das jetzt erst?“
„Ich wollte es dir ja sagen. Ich bin sogar die ganze Zeit hinter eurem Auto hergelaufen. Aber ihr habt nicht angehalten. Du hast nur doof gegrinst und gewinkt.“
„Aber ich dachte, du rackerst dich aus Trauer wegen meiner Reise so ab, dass du bis zur Autobahnausfahrt hinter uns herläufst.“

„Kommt, Jungs, wir fahren nach Bremen zurück“, sage ich ganz locker zu Hüseyin und Nurettin.
„Geht´s dir noch gut? So früh schon Heimweh nach Bremen?“ fragt Hüseyin. Nurettin starrt mich nur entgeistert an.
„Leute, wir müssen zurückfahren! Wir brauchen doch meinen Paß, sonst kommen wir an den Grenzen nie durch“, sage ich halb erpresserisch, halb feststellend, halb weinend.
„Wenn wir dich nicht dabei haben, brauchen wir auch deine Papiere nicht“, meint Nurettin ganz trocken.
„Wir sind in der Nähe von Passau. Du kannst deine Papiere dort hinschicken lassen und dann von hier mit dem Bus in die Türkei weiter fahren“, meint Hüseyin.
Diese Idee gefällt Nurettin entschieden besser als mir. Eine Sekunde später entdecke ich ihn bereits, wie er vom vierten Stock des Dachgepäckträgers meine Überseekoffer runter schmeißt.
„Brüder, nehmt doch wenigstens mein bißchen Gepäck mit“, flehe ich die Unmenschen auf Knien an. „Wie soll ich diese Riesenkoffer denn ohne Auto transportieren?“
Da zeigt sich, welch gütiger Mensch in Hüseyin steckt. Wer hätte das geglaubt!
„Nun gut, wir wollen mal nicht so sein. Du kannst dir deine Koffer in meinem Haus in Adana abholen.“
Ohne mit der Wimper zu zucken, fahren die beiden davon. Nur der Ford-Transit zuckt noch zweimal. Aber der hat keine Gewissensbisse, dessen Kühler ist nur heißgelaufen.
Mit dem ganzen Auto, all den Stockwerken samt verbeultem Schnellkochtopf aus garantiert rostfreiem Stahl, fahren sie weg.
Ich stehe mitten auf der Autobahn.
Also strecke ich den Finger in den Wind und versuche zu trampen. Aber kein Mensch nimmt mich mit. Alle Fahrer starren mich neugierig an und fahren weiter. Aber ich bin nicht sauer. Wenn ich Auto fahre, nehme ich ja auch niemanden mit. Ich halte höchstens bei Mädchen an, aber nur bei ganz hübschen Mädchen mit blau karierten Blusen.

Nach fünf Stunden und 43 Minuten hält tatsächlich ein LKW und nimmt mich mit. Über Geschmack soll man bekanntlich nicht streiten! Ich hätte mich nie mitgenommen.
Da fällt mir siedendheiß ein, dass jetzt meine Geldscheine in größter Gefahr sind. Zu oft habe ich gelesen, was kleinen Mädchen beim Trampen alles passieren kann.

Zu meiner Überraschung und Enttäuschung komme ich ohne Zwischenfälle in Passau an.
Es ist mitten in der Nacht.
Ich gehe in die nächste Kneipe, um dort die Nacht zu verbringen. Als ich ein bayerisches Weißbier getrunken habe, merke ich, dass ich mein Portemonnaie in der Telefonzelle auf dem Autobahnrastplatz liegengelassen habe. Ich war völlig durcheinander wegen der vergessenen Papiere. Und diesmal ist nicht mal meine Frau schuld. Oder doch! Schließlich hätte sie mir die Katastrophe behutsamer beibringen können.
„Muss ich denn das Bier bezahlen?“ frage ich den Wirt.
„Ja, mei, koanst froah sei, dös dö überhaupt hi rein dorfst! Dö Türk dö, ausgescharmter!“
„Ich hege die Befürchtung, dass ich mein Kleingeld leider nicht dabei habe“, gebe ich schüchtern zu bedenken.
„Koanst koa on anständiges Dötsch, Depp dö?!“
Es scheint, dass ich nicht drum herum komme, etwas Geld aus meiner Unterhose zu ziehen.
Gegen drei Uhr morgens gehe ich zum Bahnhof, um im Wartesaal doch noch etwas zu schlafen.
Als mich gegen morgen die Bahnpolizei lautstark weckt, fühle ich, dass ich auf dem Passauer Bahnhof besser geschlafen habe, als gestern in meinem Bett. Man sollte öfter auf Bahnhöfen übernachten. Nur meine Jacke war inzwischen total dreckig. Instinktiv fasse ich mir blitzschnell zwischen meine Beine. Allah sei Dank, es ist noch alles da. Das Geld meine ich.
Ich mache mich auf den Weg zum Postamt. Gestern abend hatte ich noch bei meiner Frau angerufen, damit sie mir meine Papiere sofort per Express zuschickt.
„Haben Sie ein Expresspaket erhalten, adressiert an Osman Engin?“
Der Beamte wühlt sich durch einen Berg von Paketen.
„Ja, hier haben wir so was.“
Ich freue mich riesig, endlich meine Papiere wiederzubekommen. Auf meine liebe Frau ist doch Verlaß.
„Bitte zeigen Sie mir ihren Ausweiß“, sagt er.
Ich greife zur Jackentasche. Nichts zu finden. Auch in der Hose ist nichts. Na, wie denn auch? Schließlich bin ich doch wegen des Passes hier.
„Sie halten meinen Paß bereits in der Hand. Er ist in dem Paket.“
„Ich bin nicht berechtigt, dieses Paket zu öffnen. Bitte zeigen Sie mir ihren Führerschein oder was anderes.“
„Aber alle meine Papiere sind in dem Paket drin“, rufe ich.
„Das kann ja jeder behaupten!“ brummt der Postmann und schmeißt mein Paket wieder zurück auf den Berg.
So nah war ich meinen Papieren seit zwei Tagen nicht mehr. Aber bekommen kann ich sie trotzdem nicht.
Nicht mal bei der Ausländerpolizei machen sie so ein Theater wegen eines blöden Passes. Die stecken einen höchstens in Abschiebehaft.
Verzweifelt suche ich nach Wegen, wie ich meine Existenz beweisen kann. Ich sehe ein, ohne meinen Paß bin ich ein Nichts. Ein Niemand. Nicht mal Osman Engin. Der Rest der Menschheit behandelt mich wie Luft; wie Luft bei Smogalarm.
„Schauen Sie mich doch mal bitte an“, sage ich dem Beamten, „wie könnte ich mit so einem Gesicht denn sonst noch heißen außer Osman?“
Sorgsam betrachtet er meinen Kopf von rechts bis links. Mein Argument scheint ihm einleuchtend.
„Na gut, zu Kontrollzwecken werden wir dieses Paket mal öffnen.“
Das ist kein richtiger Beamter, denke ich mir. Der will nicht mal Schmiergeld haben.
„Aber Sie müssen noch 2,50 Euro Nachgebühr zahlen“, ruft er aus seinem Schalter. Damit ich aus meiner Unterhose das Geld herausholen kann, lasse ich die Hose fallen.
„Mein Gott, behalten Sie ihre Hose an. Ich habe ja nicht gewußt, dass Sie so arm sind.“
Mit meinem Paß in der Hand verlasse ich strahlend das Postamt von Passau. Mit der Bundesbahn erreiche ich gegen mittag den Münchener Bahnhof. Ich habe ungeheures Glück, in knapp drei Stunden fährt ein Bus in die Türkei.

Als der Bus startet, bin ich restlos zufrieden. Ich stecke meine Papiere ganz ordentlich in die Innentasche meiner Jacke. Und die hänge ich gut sichtbar direkt neben meinem Sitz auf. Danach versuche ich etwas zu schlafen. Aber es klappt nicht. Bei dem Gerappel kann kein Mensch einschlafen. Schade, dass dieser Bus keinen Bahnhofswartesaal zum Schlafen hat.

In Serbien wird kurz hinter der Grenze gehalten zur Kaffeepause. Alle steigen aus, um schnell etwas zu trinken. Als ich die Cafeteria betrete, sind die meisten Leute schon mit dem Kaffeetrinken fertig. Ich bestelle einen Kaffee mit viel Zucker. Als ich endlich meinen leckeren Zucker mit Kaffeegeschmack bekomme, beobachte ich, wie die Fahrgäste langsam zum Bus laufen. Als letztes spazieren auch die beiden Fahrer wieder zum Bus. Aber da muss ich mir keine Sorgen machen. Ich weiß, dass die auf mich warten. Der Fahrer zählt die Leute durch, wen einer fehlt, dann merkt man es ja und wartet so lange. Im selben Moment sehe ich meinen Bus abfahren. Kann der Trottel nicht richtig zählen oder was?!
Ohne zu bezahlen, rase ich hinter dem Bus her.
„Wartet, ihr habt mich vergessen!“
Ich schreie, pfeife, winke mit beiden Armen und renne wie ein Irrer. Aber der Bus wird immer schneller. Ich laufe weiter hinter dem Bus her. Draußen ist es Nacht, die können mich bestimmt nicht mehr sehen. Ich hatte meine Papiere erst seit ein paar Stunden wieder zurück. Jetzt sind sie schon wieder weg. Der verdammte Bus wird immer schneller und schneller, ich werde immer langsamer und langsamer. Dazu auch noch heiser. Ich bin mal wieder alles los: Meinen Paß, Führerschein, Geburtsurkunde, Impfausweis und alle die anderen Papiere. Zur Krönung habe ich jetzt auch noch meine Jacke verloren.
Bei Allah, was soll ich ohne Ausweis mitten in Serbien? Mein Serbisch ist noch schlechter als mein Bayerisch.
Ein ältere Dame hält am Straßenrand und fragt mich auf Serbisch, ob sie mich in ihrem Auto mitnehmen soll. Als ich schon fast eingestiegen bin, fällt mir meine Unterhase bzw. mein dort eingenähtes Geld ein. Woher weiß die Frau davon? Warum sonst würde sie mich wohl mitnehmen wollen?! Entweder sie will meine Unterhose oder mich vergewaltigen. Aber beides kommt auf das Gleiche heraus: mein Geld.
Hastig sage ich auf deutsch mit serbischem Akzent:
„Ich nix fahren Auto. Ich Serbe, ich hier bleiben“, und steige blitzschnell wieder aus.
Während ich mit dem Gedanken spiele, zur Polizei zu gehen und die serbische Staatsbürgerschaft zu beantragen, sehe ich meine Bus in der Ferne anhalten. Die Warnblinkanlage leuchtet auf. Mein Bus kommt zu mir zurück. Ich brauche keinen serbischen Paß zu beantragen. Wo ich nicht mal auf meinen eigenen aufpassen kann.
Als ich dann später tatsächlich wieder im sitze, beschließe ich, Allah zum Dank ein Schaf zu schlachten, sobald ich in der Türkei bin. Zum Glück hatte mein Nachbar im Bus gemerkt, dass ich fehlte und dem Fahrer Bescheid gesagt. Jetzt soll noch einer sagen, ich sei Luft für meine Mitmenschen. Luft wie bei Smogalarm Stufe eins.

Als ich einen Tag später endlich in der Türkei bin, wechsle ich meine EURO in Istanbul gegen türkische Lira ein. Dann suche ich sogleich die berühmte Blaue Moschee in Istanbul auf. Nichts kann mich abhalten, Allah zu danken, dass ich mit all meinen Papieren heil in der Türkei angekommen bin.
Im Hof der Moschee setze ich mich an den Brunnen und reinige vorschriftsmäßig dreimal meine Hände, Füße und das Gesicht.
Es ist schön, wieder in der alten Heimat zu sein.
Die Sonne strahlt, das Wasser plätschert, die Vögel zwitschern, die Autos hupen. Nachdem ich in aller Ruhe meine Waschungen beendet habe, nehme ich meine Jacke vom Haken, um die Moschee zu betreten.
Ich ziehe die Jacke an. Es ist doch etwas kühl hier, wegen der hohen Bäume. Das heißt, ich versuche zumindest die Jacke anzuziehen. Doch irgendwie passe ich in meine eigene Jacke nicht mehr hinein. Sie macht seltsame Geräusche beim Hineinzwängen. So, als wenn sie zerreißen würde.
Sollte ich in den paar Stunden soviel zugenommen haben? Oder habe ich mich durch das Waschen mit dem türkischen Wasser so ausgedehnt?!
Auf einmal entdecken meine entgeisterten Augen, dass es nicht meine Jacke ist. Meine Jacke sah ganz anders aus, viel schöner. Mit entsetzlicher Vorahnung greife ich sofort in die Taschen. Kein Paß, keine Papiere, kein Geld, nichts! Verdammt, das ist nicht meine Jacke! Meine gute Jacke ist weg. Anscheinend haben die Ureinwohner gleich gemerkt, dass ich ein Deutschling bin. Eine Unverschämtheit, im Moscheehof die Jacken zu vertauschen. Ich bin mein ganzes Geld los. Es steckt auch nichts mehr in der Unterhose. Paß und Papiere bin ich jetzt zum dritten Mal los. Diesmal bestimmt endgültig. Dreimal ist Bremer Recht.
Aber was soll´s, ich habe den Vorteil, dass ich wenigstens in der Türkei bin. Türkisch kann ich nämlich besser als bayerisch und serbisch. Und so schlecht steht mir diese Jacke ja auch wieder nicht.
Ich ziehe meine Schuhe aus und betrete die Moschee zum Gebet. Da man gütig sein soll, verzeihe ich dem schamlosen Dieb. Ich verrichte mein Gebet, verlasse das Gotteshaus in Seelenfrieden und...
„Meine Schuhe!! Meine Schuhe sind weg!! Diese verdammten Diebe haben mir auch noch meine Schuhe geklaut!!“

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