Weihnachten nach Osmans Art

Don Osmans Beitrag zur Integration: Ab sofort
feiert er deutsche Weihnachten

Ein etwas anderes Weihnachtsbuch -
lachen Sie sich durch die Feiertage!

Mit seinen Beobachtungen aus dem deutsch-türkischen Alltag begeistert der scharfzüngige Satiriker Osman Engin seit Jahren sein Publikum. Diesmal dreht sich alles um Weihnachten. Für seine Fans und solche, die es werden sollten.

witzig - satirisch - kultig.

dtv 2006

Leseprobe












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Ooo Tannenbaum

Letztes Jahr war ich mit meiner Familie zu Weihnachten bei deutschen Bekannten eingeladen. Meinen Kindern hat die Weihnachtsfeier sehr gut gefallen. Der Tannenbaum, die Kerzen, die bunten Kugeln, die Strohsterne und die Zwerge mit der kleinen Holzhütte unter dem Baum. Als wir wieder zu Hause waren, bestanden die Kinder darauf, dass wir nächstes Jahr auch Weihnachten feiern. Ich dachte mir, dass die Kinder nichts Unmögliches verlangten. Im gewissen Sinne würde ich damit meinen Teil zur Integration beisteuern, so wie es sich die deutschen Politiker doch wünschen. Außerdem wäre es was völlig Neues für mich.
Im folgenden Herbst war ich fast aufgeregter als die Kinder, die ständig nach ihrem Tannenbaum fragten:
„Vater, kauf doch endlich einen Tannenbaum! Wenn du noch lange wartest, gibt es bald keine Tannenbäume mehr!“
„Macht euch keine Gedanken, Kinder, wir haben doch erst September, notfalls hole ich einen Baum aus dem Wald.“
„Bis du dich endlich rührst, haben wir bestimmt Ostern!“
Mit Stolz erzählte ich auch in Halle 4:
„Leute, ich feiere dieses Jahr Weihnachten!“
„Echt, machst du das wirklich?“
„Ja, ja, ich habe sogar einen echten Tannenbaum gekauft.“
Ich fühlte mich so zufrieden, als hätte ich keinen Tannenbaum, sondern einen Rolls-Royce-Transit gekauft.
Am Weihnachtsabend bin ich sehr glücklich und völlig durcheinander. Stellt euch vor, zum ersten Mal seit 48 Jahren (zuzüglich neun Monate Schwangerschaft) feiere ich Weihnachten.
Zahlreiche Freunde sind gekommen, um mitzuerleben, wie wir Weihnachten feiern. Alle stehen Hand in Hand um den Tannenbaum herum. Da es im Türkischen für den Anlass kaum passende Lieder gibt, singen wir gemeinsam auf Deutsch:
„Ooo Tannenbaum, ooo Tannenbaum, wie schön sind deine Blääätteeeerr!“
Mein Freund Muhammed flüstert mir ins Ohr:
„Osman, bist du wahnsinnig geworden? Weißt du denn nicht, dass die Christen den Tannenbaum aufstellen, damit Jesus kommt? Was willst du machen, wenn er wirklich kommt? Ich schwöre dir, dieser Jesus ist so mächtig, der macht selbst dich zu einem Christen!“
Bei Allah, das hatte ich nicht gewusst!
Auf einmal bekomme ich fürchterliche Angst und stottere:
„Nicht doch! Auf der ganzen Welt warten Millionen auf ihn, wieso sollte er ausgerechnet zu uns kommen?“
Mohammed lacht hämisch über meine kindliche Naivität:
„Osman, natürlich kommt er zu dir. Was soll er denn bei einem Christen? Er kommt extra zu dir, um aus einem Moslem noch einen Christ zu machen.“
Ich weiß nicht, was ich machen soll?! Am liebsten würde ich den Tannenbaum sofort aus dem Fenster werfen. Aber das kann ich den Kindern nicht antun. Im Prinzip habe ich nichts gegen ein bisschen Integration, aber Christ will ich zurzeit noch nicht werden.
Mohammed spürt meine Furcht und hebt warnend den Zeigefinger:
„Osman, ich mische mich da nicht ein! Aber du hast Familie und Kinder, denk auch an sie!“
Daran denken tue ich schon. Aber den Tannenbaum wegschmeißen kann ich nicht, hier behalten auch nicht! Es ist so, als hätte ich einen Stock in der Hand, der an beiden Enden voll Mist ist… Ich weiß nicht, wie ich es anpacken soll?
…Und mir wird in dieser Sekunde mit Schrecken klar, dass mich nichts mehr retten kann. Mir schwinden die Sinne, ich sehe einen Schatten aus der Zimmerecke hervortreten. Bei Allah, Mohammed hat recht: Jesus ist da!
Er sieht genauso aus wie auf den Bildern von Oma Fischkopf. Erstaunlich, er hat sich überhaupt nicht verändert: ein Langhaariger mit Bart, der sich in ein Bettlaken eingehüllt hat. Trotz der kalten Jahreszeit läuft er mit Sandalen herum. Außerdem schleppt er noch ein paar alte Dachbalken auf dem Rücken mit sich.
Die Situation ist für mich völlig neu: ob Sie es glauben oder nicht, ich hatte wirklich noch nie Jesus zu Besuch. Die Türken gelten zwar als ausgesprochen gastfreundlich, aber ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich einem solchen Gast wie Jesus gegenüber verhalten soll?! Ich kann ihm doch keinen Tee anbieten oder Kuchen. Döner schon gar nicht! Hat er denn heute nichts Besseres zu tun, als ausgerechnet mich zu besuchen?!
Mit zitternder Stimme sage ich zu ihm:
„Lieber Herr Jesus, ich freue mich über ihren Besuch. Aber ich möchte heute kein Christ werden. Morgen vielleicht.“
Mein Gast hebt die Balken hoch und ruft:
„Das ist auch nicht nötig, mein Sohn Osi (woher weiß er meinen Spitznamen? Er ist wirklich ein Prophet!). Ich freue mich aber sehr, dass auch die Türken in Deutschland an meinem Geburtstag mitfeiern. Wir sind alle Gottes Kinder! Die Menschen sollten auch endlich lernen, ohne Kriege auszukommen!“
„Aber lieber Herr Jesus, an den vielen Kriegen bin ich wirklich nicht schuld!“
„Ich weiß, mein Sohn, ich weiß, aber ich will dich nicht länger mit meinen Sorgen behelligen. Kannst du mir bitte helfen, diese Balken durch das Treppenhaus hinunter zu tragen? Dieser moderne soziale Wohnungsbau ist einfach nicht kreuzgerecht!“
Gerade will ich aufstehen, um meinem Gast zu helfen, da rüttelt jemand auch schon an meinen Schulten, und ich höre die Stimme meiner Frau:
„Osman, steh doch endlich auf, du Faulpelz! Zwei Stunden Mittagsschlaf reichen nun wirklich! Du musst doch gleich zur Spätschicht?“
Benommen richte ich mich auf und frage völlig verwirrt:
„Eminanim, was ist los? Wo bin ich? Wo ist Mohammed, wo ist Jesus?“
„Also, weder Mohammed noch Jesus sind mir heute über den Weg gelaufen. Ich sah grade nur, wie Moses die Weser zweigeteilt hat und nach drüben in die Neustadt gegangen ist, um einzukaufen!“

Osman Engin


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Ich bin Papst

Frau Kottzmeyer-Göbelsberg und ich trennen uns!
Meine Lebensabschnittspartnerin von der Ausländerbehörde wird heute hoffentlich das Dokument unterschreiben, dass unsere langjährige innige Beziehung endgültig beendet.
Nach Jahrzehnten des Rackerns und Ackerns, Kommens und Gehens, Tränen und Sirenen hängt heute alles von einem einzigen, letzten Deutsch-Lese-Test ab.
Als ein rückständiger Türke bin ich hier hergekommen, aber mit Allahs Hilfe und Frau Kottzmeyer-Göbelsbergs Erlaubnis werde ich diesen Raum als moderner Deutscher verlassen.
Vor Aufregung habe ich die ganze Woche kein Auge zumachen können, und bin froh, dass der grausame Spuk heute endgültig vorbei sein wird.
Viele meiner deutschen Freunde, unter anderem der Abdullah, der Sadullah und Beytullah trösteten mich damit, dass ich nach ein paar Tagen wieder normal essen, denken, schlafen und zur Arbeit gehen kann.
Ich weiß nicht, ob Sie es schon an den Namen gemerkt haben, aber Abdullah, Sadullah und Beytullah sind auch keine 100-Prozentige reinrassige Deutsche. Aber durch die Drei hat sich die Zahl meiner deutschen Freunde und meine Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft buchstäblich verdreifacht.
Erschrocken zucke ich auf dem Stuhl zusammen, als Frau Kottzmeyer-Göbelsberg wie immer schlecht gelaunt ins Büro kommt und energisch die Tür zuknallt.
„Was du wollen? Du Asyl?“
„Nein, ich Osman!“
„Du wollen deutsche Pass?“
„Ja, ich wollen!“
„Aber du kein Deutsch können!“
„Richtig! Ich hier nicht Deutsch können. Aber außerhalb der Ausländerbehörde, also da wo man mich nicht dazu zwingt, dieses Tarzan-Deutsch zu verwenden, da spreche ich unter Umständen schon einigermaßen gutes Deutsch. Wenigstens kann ich mich im Alltag so artikulieren, dass ich mich soeben über Wasser halten kann. Aber wesentlich relevanter ist es nun einmal, wie Sie, liebe Frau Kottzmeyer-Göbelsberg, nach all meinen Konsultationen in den vergangenen Jahrzehnten in ihrer hochgeschätzten Behörde, meine aktuelle Sprachkompetenz beurteilen!“
„Ich dich nicht verstehen!“
„Ich schuld, ich nicht sprechen gut Deutsch wie Sie! Aber ich gut lesen, bitte heute machen Test.“
Frau Kottzmeyer-Göbelsberg macht die Schublade auf und knallt mit der Bildzeitung auf den Tisch. Um zu testen, ob die heutige Ausgabe ihren Anforderungen genügt, macht sie sich erst mal selbst über die Prüfungsdokumente her.
Ich halte diese Spannung nicht mehr aus und lese die ganze erste Seite in einem Atemzug laut vor:
„Wir sind Papst!“
„Du nicht Papst! Wir sind Papst!“ weist sie mich knallhart zurecht.
„Mit Allahs Hilfe ich gleich auch Papst.“
„Nein, du bestenfalls Ayatollah!“
„Ich will endlich lesen. Damit man mir wegen diesem Formfehler später nicht den Pass entziehen kann! Geben Sie mir wenigstens den Sportteil!“
„Nix Sportteil! Hier in Akte steht, du haben schon über zehn Bücher geschrieben. Also wirst du auch lesen können! Hier hast du Pass! Und raus mit dir!“
Bei Allah, die deutschen Beamten sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren!

Osman Engin.


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