Einmal Kanake, immer Kanake

Osman Engin ist ein Deutscher! Er kann es selbst kaum fassen: Was ein Pass doch nicht alles verändert! Sein ganzes Leben kommt ihm glanzvoller, erhabener vor und mit Vehemenz macht er sich daran, der deutschen Leitkultur zum Durchbruch zu verhelfen.
Keine Frage, dass er dafür bereit ist, die Existenz seiner Freunde vom Bä-En-De zu sichern, den Skinheads beim Säubern des deutschen Volkskörpers zu helfen und sich ansonsten bei Angriffen gegen Ausländer vorbildlich herauszuhalten.
Wenn da bloß nicht dieses Kanaken-Pack wäre, das behauptet, seine Familie zu sein!
Ein Glück, dass es im deutschen Fernsehen wenigstens die vielen Talkshows gibt, wo er sich alles von der Seele reden kann...

Einunddreißig neue und neueste Geschichten aus dem multikulturellen Durcheinander.
Dtv (Juni 2003)

Leseprobe


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Oberkanakengeil

Endlich! Wie habe ich diesen Tag herbeigesehnt! Hatice muss endlich zur Schule gehen, und wir haben wenigstens den halben Tag Ruhe zu Hause. Sollen sich doch jetzt die Lehrer mit dem kleinen Teufel rumärgern! Wozu bezahle ich denn soviel Steuern?!
Seit kurzem Besucht Hatice die Grundschule nebenan. Am ersten Tag hat noch die gesamte Familie sie bis zur Schule begleitet. Meine Frau hat für Hatice eine ganz große Zuckertüte gekauft. Für mich und die anderen hat sie jeweils nur eine ganz kleine Tüte besorgt. Zum Ausgleich habe ich zwei Schokobonbons aus Hatices Schultüte mitgehen lassen. Es war ja schließlich auch ein langer Weg bis um die Ecke.
„Osman, beklau doch nicht dein eigenes Kind! Ich habe dir doch extra eine eigene Zuckertüte gekauft“, schimpft Eminanim.
„Aber nicht so groß!“, protestiere ich.
„Oh, du arme Hatice, jetzt musst du mindestens 20 Jahre lang zur Schule und den ganzen Tag Mathematik lernen“, stöhnt ihr linksradikaler Bruder, der ewige Student Mehmet. „Schau mich an, ich musste auch so klein anfangen wie du, und ich muss heute immer noch dahin!“
„Mehmet, hör auf der Kleinen Angst zu machen. Ist ja schließlich nicht jeder so unfähig wie du“, zischt ihn Eminanim von der Seite an, und schlägt ihm mit der eigenen Zuckertüte auf den Kopf.
„Papa, stimmt denn das, was Mehmet gesagt hat?“, fragt Hatice mit entsetzten Augen. „Das sag ich euch gleich, wenn ich dort ständig rechnen muss, dann trete ich aus dem Verein sofort wieder aus! Aber zwei Wochen Probezeit will ich denen schon einräumen. Man muss den Leuten auch eine Chance geben. Und in der Zeit will ich mir eine eigene Meinung über diesen Laden verschaffen!“
„Aber Hatice, du bist doch jetzt ein großes Mädchen geworden. Und große Mädchen dürfen bereits zur Schule“, versuche ich ihren Stolz zu kitzeln, damit sie nicht gleich am ersten Tag alles hinschmeißt. „Das haben wir nämlich in letzter Zeit daran gemerkt, dass du sehr artig geworden bist. Deine Mutter und ich sind sehr froh darüber, dass wir uns kaum noch über dich ärgern müssen.“
„Das stimmt doch hinten und vorne nicht“, fuchtelt sie mit ihrer Schultüte durch die Gegend. „Das ist doch nur so, weil ich alles, worüber ihr euch ärgert, inzwischen heimlich tue!“
„Oh, Allah, die armen Lehrer! Die können einem echt leid tun“, denke ich laut vor mich hin.
„Osman, glaubst du, die machen einen solchen Beruf freiwillig?“, flüstert Eminanim.
„Aber Frau, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit sind die verzweifelten Menschen über jeden Job froh, und sei er noch so gesundheitsschädlich.“
„Osman, ich habe gehört, dass Hatice mehr als zehn deutsche Mitschüler haben soll. Hoffentlich geht das bloß gut, bei einem so großen Deutschenanteil.“
„Ich habe keine Vorurteile gegen deutsche Kinder. Das Einzige, worüber ich mir Sorgen mache ist, dass sie schon in zwei, drei Jahren mit Sexualunterricht anfangen.“
„Osman, solange brauchst du nicht zu warten. Wenn du was Konkretes wissen willst, kann Hatice dich jetzt schon aufklären.“

Hatice ging gerade mal zwei Wochen zur Schule, schon hatte ihre Lehrerin Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart nur für mich ganz allein einen Elternsprechtag organisiert.
„Herr Engin, ich muss Ihnen leider sagen, dass sich Hatice ihre Aufgaben von Mitschülern machen läßt. Und das für fünfzig Pfennig pro Tag.“
„Hatice, stimmt das etwa?! Kind, wie kannst du mir das antun?!“ frage ich sie vor dem versammelten Lehrerzimmer mit einem so tollen pädagogischen Unterton in der Stimme, dass alle Lehrer neidisch werden.
„Damit aber nicht genug, Herr Engin. Hatice hat mir allen Ernstes Geld angeboten, damit ich Ihnen davon nichts erzähle. In meiner ganzen Karriere habe ich sowas noch nicht erlebt!“
„Nehmen Sie es doch nicht so tragisch, Frau Lehrknecht-Ziegenbart. Die Kleine hat auch mir schon öfters Schmiergeld angeboten, damit ich ihrer Mutter nichts verrate. Mindestens die Hälfte ihrer Bestehungsversuche habe ich natürlich abgelehnt.“
„Vater, was erzählst du denn hier?!“, stoppt mich Hatice. „Ist das etwa meine Schuld?! Von Mutter und dir war doch kein besseres Kind zu erwarten. Eure Sternzeichen passen genauso wenig zusammen wie eure Chromosomen. Da kann ja nichts Vernünftiges bei rauskommen. Das habe ich euch damals gleich gesagt!“
Und dann bekommt auch noch die Lehrerin ihr Fett ab:
„Wenn Sie unbedingt jemanden bestrafen wollen, dann knöpfen Sie sich Klaus und Ingo vor. Die beiden haben doch Schmiergelder angenommen, und sich zum Nachteil der Allgemeinheit bereichert!“
„Die Schmiergeld-Affäre ist aber nur die Spitze des Eisberges, Herr Engin“, stöhnt Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart, „ich habe ja nichts dagegen, wenn die Schüler in der Pause Karten spielen. Aber ich finde es unerhört, dass Hatice mit gezinkten Karten spielt. Denn beim Strip-Poker habe ich mich noch nie bis auf die Unterhosen ausziehen müssen. Erst recht nicht vor Erstklässlern! Und Hatice hat nicht mal ihre Mütze abgesetzt!“
Nachdem Hatice wieder in die Klasse gegangen ist, erzähle ich der Lehrerin natürlich nicht, dass ich mit ihr hätte lieber Lesen sollen, anstatt Poker zu spielen. Stattdessen erzähle ich, dass man uns vor zwei Jahren gezwungen hat, diesen Teufel zu adoptieren.

Drei Wochen später hole ich Hatice wieder mal von der Schule ab. In diesen drei Wochen habe ich viele neue deutsche Feiertage kennengelernt, die mir in den letzten dreißig Jahren völlig unbekannt waren:
„Erntedankfest wegen Marias Empfängnis!“
„Heiligen Drei Könige und die Siebenschläfer!“
„Buß- und Bettag am Gründonnerstag!“
„Totensonntag am Rosenmontag!“
„Volkstrauertag der deutschen Einheit!“
Mindestens an drei Tagen der Woche hat das Kind irgendeinen Feiertag erfunden, um die Schule zu schwänzen. Wir haben das erst gemerkt, als ich von meiner Firma ein Abmahnung erhielt: Wegen häufigen Fehlens drohte man mir, mich rauszuschmeißen. Denn an den ganzen neuen Feiertagen bin ich genauso wie Hatice Zuhause geblieben. Seitdem bringe ich sie persönlich zur Schule. Auch samstags und sonntags! Und erst recht an hohen Feiertagen, wie die Heiligen Drei Könige und die Siebenzwerge!
„Na, Hatice, wie läuft es denn in der Schule?“, frage ich sie.
„Oberkanakengeil ey“, ruft sie.
„Waas? Was für ein Ober?!“
„Oberkanakengeil!“
„Hatice, was heißt das genau, wenn ich fragen darf?“
„Das heißt, es geht mir so gut, wie es einem Kanaken in Deutschland überhaupt gehen kann!“
„Oh, das finde ich aber schön, mein kleines Kanakchen!“
„Vater, ich sitze am Fenster direkt neben der Heizung. Es ist schön warm, ich kann nach draußen gucken, und ich laß den lieben Gott einen guten Mann sein!“
„Hatice, was willst du denn werden, wenn du mal groß bist?“
„Zauberer, Briefträger und Bundeskanzler natürlich!“
„Oh, da wäre ich aber stolz auf dich! Du wärst der erste weibliche türkische Kanzler in Deutschland. Falls es deine Mutter nicht vor dir schafft. Was willst du denn machen, wenn du Bundeskanzler bist?“
„Alle Schulen verbieten, und die Lehrer in die Wüste schicken!“, dabei tritt sie urplötzlich einem entgegenkommenden Rentner beide Krückstöcke weg.
„Hatice, was soll denn das?! Bist du jetzt total verrückt geworden?! Wie gehst du denn mit den Schwachen und Hilflosen dieser Gesellschaft um?! Noch bist du nicht der Bundeskanzler!“, schreie ich sie an.
„Das ist dafür, was die Kerle früher mit den Juden gemacht haben“, zischt sie mit hochrotem Kopf.
„Aber Hatice, mein Kind, das ist doch schon so lange her!“
„Aber ich habe es erst heute auf dem Schulhof erfahren“, ruft sie.
Hoffentlich erzählt ihr niemand, was zur Zeit in Deutschland los ist!!

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Osman allein im Kokpit

„Im Flugzeug mache ich mir vor Angst in die Hose“, stottere ich.
„Es sind fast immer die Männer, die die Hosen voll haben. Aber Sie können nach vorne zu dem Piloten gehen. Das hilft fast immer“, sagt die Stuardess.
Oh Gott, diesmal will der Kapitän es mir persönlich sagen, dass wir gleich für immer im Himmel sind!
„Guten Tag“, empfängt mich der Chefpilot, „Sie brauchen keine Angst zu haben. Flugzeuge sind die sichersten Verkehrsmittel der Welt.“
„Und runter kommen sie auch immer“, macht sein Kopilot den dämlichsten Witz, den ich kenne.
„Setzen Sie sich mal hier vorne hin“, bietet der Pilot mir seinen Sessel an.
Es ist unglaublich! Ich sitze mittlerweile 17 Sekunden auf dem Pilotensessel, und wir sind immer noch nicht abgestürzt.
„Jetzt habe ich die Macht“, rufe ich.
„Nein, ich habe die Macht“, ruft hinter mir jemand und hält mir eine Waffe an den Kopf. „Wir entführen diese Maschine nach Albanien!“
„Bitte erschießen Sie mich sofort, ich will da nicht hin!“
„Nur der Pilot bleibt hier! Ihr beiden kommt jetzt mit nach hinten zu meinen Kameraden“, befiehlt der Terrorist.
„Ich bin nicht der Pilot“, jammere ich.
„Keine Widerrede! Tun Sie was ich sage!“
„Bleiben Sie einfach so sitzen“, flüstert mir der Kapitän zu, „der Autopilot macht schon alles.“
Bei Allah, das glaubt mir keiner! Grade noch hatte ich ganz normale Flugangst wie jeder andere, saß im Nichtraucherabteil und machte mir in die Hose. Jetzt hocke ich in 11.000 Meter Höhe mutterseelenallein im Kokpit einer nach Albanien entführten Maschine. Über den Kopfhörer höre ich einen gewissen Herrn Tauwa was auf Englisch rufen.
„Ei äm Osman. Ich nix Pilot! Dis is wan Kitnäpping“ rufe ich in fließendem Englisch zurück.
„Ar yu russisch Pilot?“ fragt mich Herr Tauwa über den Kopfhörer.
„Ei äm no Pilot! Ei äm Passenger very very Angst. Deswegen kaming hier in Kokpit. Aber hier very alleine. Kevin allein in home, Osman allein in Kokpit!“
„Ar yu äfrikän Pilot?“ fragt der Kopfhörer.
„Ei äm nix Pilot, Herr Tauwa! Muss denn jeder, der ein läppisches russisches Flugzeug fliegt, gleich Pilot sein?“
„Yu ar very gut Pilot“, versucht er mich aufzumuntern.
„Ei äm nix Pilot, verdammt nochmal! The Pilot is going nach hinten änd is nicht wiederkaming. The Situeyschin is very very Scheiße! Dis is wan Kitnäpping. The Gängster denkt ei äm Pilot. Yu denk auch ei äm Pilot. Ei äm aber nix Pilot! Ei äm Osman. Und ei äm very Angst. Stuardes gesagt, kaming Kokpit. Ei äm gesagt, no no, nix interesse. Ei äm aber dann doch kaming, jetzt is the Kacke am dampfing! Ei äm the Vogel gleich notlanding!“ rufe ich.
„Yu ar nix Notlanding, ei äm doch kaming“, höre ich die Stimme des Piloten direkt hinter mir.
„Yu ar.., ich meine, haben Sie den Funkverkehr mitgehört?“ frage ich erleichtert, und mir fallen pyramidengroße Steine vom Herzen.
„Nicht nur wir, sondern alle Passagiere haben mitgehört“, lacht der Chefpilot. „Sie sprechen ja ein herrliches Englisch. Mit unserem Chefstuard Wolfgang zusammen spielen wir dieses kleine Theaterstück mit jedem, der Angst vorm Fliegen hat. Dis wirking Wonder!“
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Mein Händi Helga

„Mensch, Osman, wo bleibst du denn?“, brüllt meine Frau genervt am Telefon.
„Jetzt mach doch kein Streß, ich bin gleich da“, brülle ich nicht weniger genervt in den Apparat.
„Was treibst du denn schon wieder so lange im Badezimmer? Du wolltest dir doch nur die Hände waschen!“
Seit dem sie mir das blöde Händi geschenkt hat, habe ich nicht mal hier auf dem Klo meine Ruhe. Das war natürlich ein Geburtstags-Geschenk a la Eminanim. Ich durfte den Nervtöter selber bezahlen -wie bei allen anderen Geschenken von ihr-, als Ausgleich dafür erlaubt sie mir, dass ich auch die monatlichen Gebühren bezahle. Bisher weigert sie sich standhaft mir beizubringen, wie man mit dieser `Strafe Gottes´ umgeht. Die Bedinungsanleitung hat sie auf den Balkon im Holzkohlegrill kaltlächelnd verbrannt. Trotzdem kontrolliert sie jeden Abend das Displey, ob ich jemanden –natürlich eine Frau- angerufen habe, oder ob ich von jemanden –natürlich von einer Frau- angerufen worden bin. Mit einer Lupe prüft sie das Händi nach Fingerabdrücken und anderen verräterischen Merkmalen. Z. B., blonde Frauenhaare, Lippenstiftspuren, oder irgendwelche Frauenunterwäsche, die zwischen den Tasten klemmen.
Aber weil ich nicht ran gehe, tritt sie wie ein Irrer gegen die Toilettentür und brüllt:
„Osman, wehe du hast es wieder ins Klo fallen lassen!“
So blöd bin ich nicht mehr. Um die elektronische Fessel los zu werden, habe ich sie letzte Woche ins Klo geschmissen und die Spülung betätigt. Eminanim hat mich danach gezwungen, das ekelhaft stinkende Teil eigenhändig wieder heraus zu fischen.
Erst vorgestern hat sie es aber dampfend aus dem Backofen gezogen. Weil sie mich alle zwei Minuten anruft, ertönte plötzlich zur Überraschung aller aus dem Herd die Melodie von `Spiel mir das Lied vom Tod´.
Letzte Woche habe ich rein zufällig mein Vorschlaghammer auf dieses Handi fallen lassen. Gestern nachmittag rief mich mein Arzt übers Händi an und teilte mir mit, dass der Gips von meinem rechten Fuß in drei Wochen abgenommen wird.
„Herr Doktor, Sie würden mir viel größeren Gefallen tun, wenn Sie mir das Händi vom Ohr abtrennen würden, als den Gips vom Fuß.“
„Ich verstehe Sie vollkommen, Herr Engin“, jammert der Arzt, „aber glauben Sie mir, das bringt nichts. Die wachsen so schnell nach wie Pilze nach dem warmen Sommerregen. Ich verstehe Sie zu gut. Seit dem es diese `elektronischen Fußfesseln´ gibt, gönnt mir meine Frau auch keine ruhige Minute mehr. Sie ruft mich ständig an. Und zwar immer dann, wenn ich eine junge, hübsche Patientin im Sprechzimmer habe!“
„Oh, Gott“, sage ich, „wozu sind unsere Weiber noch alles imstande?! Hat Ihre Frau denn auch Videokameras eingebaut? Wie kann sie denn ahnen, wen Sie gerade untersuchen? Also wenn ich bei Ihnen auf der Couch liege, dann hat sie doch nie angerufen!“
„Das ist doch ganz einfach: Ich Idiot hab meine Sprechstundenhilfe geheiratet!“
„Überlegen Sie, was Sie da sagen, Herr Doktor! Nicht dass Ihre Frau Sie jetzt abhört!“
„Das ist mir jetzt auch egal, Herr Engin. Aber Sie haben schon richtig beobachtet: Bei häßlichen, verkrüppelten Gartenzwergen, wie Sie es einer sind, da funkt sie nie dazwischen!“
Früher habe ich ihn ja nicht geliebt! Aber jetzt hasse ich ihn! Ich meine den piepsenden Nervtöter, und nicht den Arzt! Diesen Arzt habe ich schon immer gehaßt!
An meinem Geburtstag wollte mich meine Frau noch dadurch trösten, dass alle Leute glauben, das Mistding sei in Wirklichkeit ein Statussymbol. Zum erstenmal hätte sie Grund stolz auf mich zu sein. Wenn ich auf der Straße das Händi vor meinem Gesicht halte, würde sie sogar mit mir bis zum Bäcker gehen, hat sie mir versprochen. Aber als ich gestern am Bahnhof den Penner sehe, der sturzbesoffen auf dem Boden liegend mit seinem Kumpel telefoniert, der zehn Meter weiter liegt und mit seiner Rotweinflasche spricht und dabei sein Händi vollkotzt, ist mit dieser Illusion auch vorbei.
Das einzig Positive an diesen Winzlingen ist, dass sie den ganzen Scharen von Analphabeten Lesen und Schreiben beigebracht haben. Die Leute, die vorher gerade mal mit viel Mühe die Fernsehzeitung lesen und ihren eigenen Namen schreiben konnten, belästigen ihre Umwelt jetzt mit SMS, weil das Telefonieren zu teuer ist. An jeder Straßenecke hämmern irgendwelche Horden von Gehirnamputierten mit ihren Wurstfingern stundenlang auf diesen Apparaten rum, um irgendwie zwei Wörter zusammen zu bekommen. Sie erwägen unweigerlich den Eindruck, dass ganz Deutschland Jahrelang in Einzelhaft gewesen sein muss.

Auf dem Nachhauseweg schaue ich kurz im `Zum Wohl´ nach. Das ist die Kneipe von Herbert. Er ist über die aktuellen Fußballergebnisse immer bestens informiert. Kaum betrete ich den Laden, schon springen alle Leute auf. Es versteht sich natürlich von selbst, dass diese Hampelmänner nicht wegen mir aufspringen, sondern weil irgendwo ein Händi piept. Die eine Hälfte stürmt zu ihren Taschen, die andere Hälfte zu ihren Jacken, und die dritte Hälfte steht blöd in der Gegend rum, und weiß Momentan nicht, wohin sie stürmen soll.
Die Apparate sollten verboten werden! Niemand hat das recht, die Gemeinschaft der Männer auf diese häßliche Art und Weise zu stören. Dass sie von ihren eifersüchtigen Frauen gezwungen werden, zu Kontrollzwecken diese Kuhglocken ständig um den Hals zu tragen, ist auch keine plausible Ausrede. Und die Dialoge machen mich erst richtig fertig! Noch dämlicher als die Besitzer:
„Ja, jetzt bin ich in der Kneipe. Soll ich Bier mit Korn oder ohne Korn trinken?“
Dem Rest der Menschheit werden im Brüll-Lautstärke weltbewegende Neuigkeiten mitgeteilt:
„Also mir schmecken Pommes mit Majo zehnmal besser als mit Ketchup.“
Das Rausrenn-Spiel gefällt mir auch sehr sehr gut. Man presst das Händi mit der Linken Hand an das rechte Ohr, tut extra verschämt und schaut auf den Boden, und rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn durch den Laden. Schmeißt Stühle um, knallt gegen Tische und zur guter Letzt klatscht man mit dem Kopf gegen die Eingangstür. Ein wahrlich tolles Spiel!
Wie es sich gehört stelle ich mein Potmone, Ford-Transit-Schlüssel und das Händi auf den Tresen; so wie alle anderen auch.
„Herbert, hast du die Ergebnisse von der italienischen zweiten Liga im Kopf?“
„Osman, was fragst du mich? Du hast doch absolutes Superteil vor dir liegen. Da kannst du doch alles abfragen.“
„Was?! Ich dachte das Ding kann nur bimmeln und die schreckliche Stimme meiner Frau übertragen!“
Herbert schnappt sich mein Händi, tippt wie ein Wilder drauf rum und knallt es mir mit den Ergebnissen wieder auf den Tisch.
„Da!“
Auf einmal wird das Zeug mir sympathischer. Ich sehe es mit völlig neuen Augen.
„So ein kleines, süßes Ding und kennt sich mit Fußball aus!“, jubele ich. Begeistert lese ich die Ergebnisse. Und weil das niedliche Geschöpf mich sehr glücklich macht, taufe ich mein Händi umgehend auf den schönen Frauennamen `Helga´.
Jetzt, wo ich merke, dass das Ding zur was zu gebrauchen ist und Helga heißt, da macht es mir plötzlich nichts mehr aus, dass ich es die ganze Zeit in meiner Jackentasche, an meinem Herzen trage und ständig von ihm gestört werde.
Ich verstehe die Welt nicht mehr! Seit Stunden fummele ich plötzlich mit großer Freude an dem Teil rum, und versuche die geheimen Fertigkeiten und die Spezialitäten von Helga zu enträtseln und zur Tage zu befördern. Herbert gibt mir noch den vertraulichen Tipp, das Händi auf Wibrationsalarm zu stellen und es mir in die Hosentasche zu stecken, dann würde ich mich selbst auf die Anrufe meiner Frau freuen.
Nach dem ich in traute Gemeinsamkeit mit meiner neuen hübschen Freundin Helga drei Tassen Kaffee getrunken habe, -wobei wir leider andauernd von meiner keifenden Ehefrau belästigt wurden-, verabschiede ich mich von Herbert.
Kaum sitze ich in meinem Ford-Transit merke ich zu meinem Entsetzen, dass ich meine heißgeliebte Helga, im `Zum Wohl´ vergessen habe. Wie der Blitz renne ich zurück. Noch heute morgen hätte ich mein Händi sicherlich rücksichtslos seinem Schicksal überlassen. Aber seit einer Stunde ist sie meine heimliche, fußballkompotente Liebe.
Das schlimmste befürchtend stürze ich in den Laden hinein. Bereits in der Tür merke ich, dass es schon zu spät ist. Herberts Mutter hält kreidebleich und fassungslos meine arme Helga in der Hand und der ganze Laden hört mit, wie meine Frau am anderen Ende tobt:
„Wer bist du, du dämliche Schlampe?! Ich bring dich um! Osman das Schwein bringe ich auch um! Wo ist er, der Ehebrecher? Ich schwöre dir, ich finde euch! Er wird sich noch wünschen, er wäre tot! Und ich krieg auch schon raus, wer du bist, du Miststück! Osmaaan, wo bist du, Osmaaaaan?!“

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Brautschau

Fünf frisch gewaschene, nagelneue Ford-Transits parken vor unserer Haustür.
Fassungslos beobachte ich mit meiner Frau Eminanim die Ankunft unserer Gäste.
„18..19.. Osman, wieviel Leute dürfen denn mit so einem Wagen fahren?“
Ungläubig zähle ich die Leute weiter, die aus einem einzigen, knallroten Ford-Transit herausklettern:
„Keine Ahnung ...29..30.. O Gott, 31.. 32.. am besten ich höre auf zu zählen.“
„Soviele Teetassen habe ich doch gar nicht“, jammert die Zweitgrößte Nervensäge des Mittleren Orients.
Die ganze Sippe von Hüsnü ist angereist, um mit Allahs Hilfe um die Hand meiner Tochter Nermin anzuhalten. Soviele Hände hat das arme Mädchen doch gar nicht, nicht mal Finger!
Eminanim starrt mit aufgerissenen Augen die Menschenmassen im Wohnzimmer, die wie Legehennen auf einer Hühnerfarm fast übereinander hocken.
„Kommen die alle nur wegen Nermin, oder wollen die gleich alle Frauen aus Bremen abschleppen?“ fragt mein nichtsnütziger Sohn Mehmet schockiert.
Ich kenne kaum einen von den Dutzenden Gästen in meiner Wohnung. Aber als Gastgeber rede ich mit ihnen über Gott und die Welt: Über Lügner, Gängster, Verbrecher und Politiker.
Eigentlich ist es ja mittlerweile an der Zeit, dass der Vater des Bräutigams mit dem Grund für diese Invasion herausrückt. Doch der ist noch verklemmter als sein Sohn Hüsnü und bringt nur ein verlegenes:
„Öhm.. ehm.. höhö..“, zustande.
Die unzähligen Gäste warten sehnsüchtig darauf, dass meine 18-jährige Tochter Nermin mit einem Tablett voller Teegläser ins Wohnzimmer kommt. Damit sie von allen Seiten wie ein Stück Vieh begutachtet werden kann. Stattdessen kommt meine kleine Tochter Hatice mit einer Videokasette herein und ruft:
„Nermin hat keine Lust von tausend Bauern angeglotzt zu werden. Deshalb hat sie einen Drei-Minuten-Videoclip gedreht. Aber geilt euch nicht zu früh auf, die ganzen Nacktszenen wurden schon von ihrer Freundin zensiert und rausgeschnitten!“
Zu Hiphop-Musik sehen wir, wie sich Nermin morgens die Zähne putzt. Gurgeln. Spucken. Sie geht aufs Klo. Zum Glück macht sie die Tür zu. Nermin drückt Pickel aus. Noch einen. Nermin mit Joghurt und Gurke im Gesicht. Nermin macht Gurkensalat mit Joghurt. Nermin guckt Fernsehen und bohrt dabei telegen in der Nase.
„Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit, Sie können jetzt gehen!“ steht zum Schluß geschrieben.
„Eine sehr intelligente und moderne Frau“, klopfen Hüsnüs Onkel ihm auf die Schulter, „und dazu ist sie fast genauso hübsch wie Dieter Hallervorden!“
Um die leidige Zeremonie endlich zu beenden, rufe ich als Brautvater laut in die Runde:
„Also ich bin mit dem roten Ford-Transit als Brautgeld einverstanden. Ihr könnt meine Tochter Nermin haben. Und für ein Fahrrad bekommt Ihr auch noch meine Frau Eminanim dazu!“

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